Ich bin gekommen um einen Mythos zu jagen, ja vielleicht sogar um eine Legende ein für alle Mal zu enttarnen, denn der Oeschinensee im Berner Oberland ist der Star in allen Bergsee-Rankings dieser Erde. Keine Liste, auf der diese türkise Gletschermurmel nicht auf Platz 1 steht und das, obwohl es den Pragser Wildsee, den Bachalpsee oder den Lake Louise in Kanada gibt. Existiert so ein Naturwunder überhaupt oder ist er längst durch die Vielfalt unzähliger Instagram-Filter zu einem Internet-Phänomen hochstilisiert wurden?
An diesem Wochenende werde ich der Frage auf den Grund gehen und habe mit dem Waldhotel Doldenhorn in Kandersteg sogleich die perfekte Unterkunft gefunden.
Eingebettet in einer landschaftlichen Märchenwelt Grimmscher Prägung, verfügt das Hotel sogar über 2 eigene Trinkwasserquellen, die die halbe Mini-Bar meiner wunderschönen, 50 Quadratmeter großen Suite mit Namen Jegertosse füllen. Das luxuriöse Zimmer ist mit dem Haupthaus über einen Gang verbunden und befindet sich im ehemaligen Wohnhaus der Familie Maeder. Sie ist eindeutig das Schmuckstück des 1976 eröffneten Hotels und verfügt über einen Kachelofen, eine Whirlpool-Badewanne sowie einen rustikal eingerichteten Wohn- und Schlafbereich.
„Früher gab es hier 5 Kinderzimmer und alle haben Platz gehabt“ berichtet Inhaber René Maeder stolz, der gemeinsam mit seiner Frau Anne aus einer mittelgroßen Pension mit 40 Zimmern, dieses Prachthotel geschaffen hat. In zwei Jahren möchte er das Management ganz in die Hände seines Sohnes legen, doch bis dahin ist er im Doldenhorn sowie dem gegenüberliegenden Ruedihus omnipräsent und fährt auch gerne mal erschöpfte Gäste die 200 Meter vom Zimmer direkt zum Abendessen. Doch davon später mehr, denn bevor es soweit kommen konnte, muss man den Zauber des Berner Oberlandes zunächst entfachen.
Nach einem Glas Prosecco und frischen Spiegeleiern mit Speck fühle ich mich ausreichend gestärkt, um die 15 Minuten bis zur Seilbahnstation Oeschinensee zu Fuß zurückzulegen. Hätte ich gewusst, was heute noch so auf der Tagesordnung steht, wäre ich sicher mit dem Hotelshuttle gefahren, doch außer einer 3-stündigen Panoramarunde um den See, hatte ich mental nur Wellness & Dinner auf dem Programm.
Auf etwa 1.578 Metern Höhe steht man zunächst in einer Traube aus Menschen, die ihre Smartphones nochmals durchladen um die Nummer 1 alpiner Gebirgsgewässer eigenhändig zu erlegen. Es sind bereits über 25 Grad im Schatten, die Sonne steht im Zenit und sorgt für ordentlich Gegenlicht, so dass mein erster Blick auf den See und die gegenüberliegenden Gletscherwände noch ein wenig verhalten ausfällt.
Ein paar Boote cruisen über das türkise Wasser und umrunden die zahlreichen Wasserfälle in respektvollem Abstand. Ein Traum fürwahr, doch seine wahre Schönheit entwickelt der Oeschinensee auf der Wanderroute Nummer 2 über den Heuberg zur Oberbärgli-Hütte.
Was sich hier an Panoramen auftut, mal mit Fels- und Tannendekoration, mal mit Schafherde und Gletscherwelt, mal mit Wolken, gern mit Sonne und Lichtkegeln, sucht in der alpinen Welt ihresgleichen. Dieser See muss einfach jede Top 10 Liste anführen, denn nirgendwo rasen Felswände steiler nach oben, um den dort aufgetürmten Schnee zu küssen, wie am Oeschinensee. Ich habe Tränen der Rührung in den Augen und vergesse für einen Moment sogar meine erschöpften Knochen, denn zwischen dem ersten und 1.000 Blick liegen über 1.200 Höhenmeter und 8 Stunden anstrengender Wanderung. Was in der Zwischenzeit geschah? Na ja, mir kam ein kleiner Umweg zur Blümlisalphütte dazwischen, die auf einem 2.778 Metern hohen Grad am Fuße der Bergriesen Weisse Frau und Morgenhorn (3.623) thront.
Keine Frage: Landschaftlich gehört dieser Wanderweg zu den schönsten der Alpen, denn er bietet ein Dauerpanorama aus schneebedeckten Gipfeln und mächtigen Gletschern. Spätestens ab der Hälfte beginnt jedoch der Kampf gegen ein ganzes Gespann aus inneren Schweinehunden, da die Blümlisalphütte in weiter Ferne so nah stets im Blickfeld ist und doch keinen Meter von selbst auf dich zukommt. Es zieht sich gewaltig und düstere Nebelschwaden legen mir ein „Aufgeben“ quasi nah, wäre da nicht der kleine Laufroboter in mir, der mich bis an den Fuß des Gletschers bringt, wo ich mein Glück über derlei Pracht kaum fassen kann, genau wie weitere 3 Stunden später zurück am sagenumwobenen Oeschinensee.
„Ich fahre sie kurz rüber, denn ich glaube sie sind heute schon genug gelaufen“ höre ich die Stimme von René Maeder und muss feststellen, dass wohl nach dem finalen Panoramablick noch die Heimkehr ins Waldhotel folgte, um ihren Abschluss im blubbernden Outdoor-Pool des Wellnessbereichs zu finden.
„Herr Maeder, es ist mir zwar peinlich, wenn sie mich jetzt über die Straße zum Ruedihus shutteln, aber ich nehme ihr Angebot dankend an“ höre ich mich sagen. Und so fahren wir zum 250 Jahre alten Landgasthof, der jetzt ebenfalls zur Familie gehört und berühmt für seine Schweizer Traditionsküche ist. Selbst Prinz Charles war schon hier und hat sich am Käse-Fondue erfreut. Ich tafele heute weniger „british“ und entscheide mich für das Schweinefilet im Speckmantel.
Am nächsten Morgen kommt mir René Maeder gut gelaunt am Frühstücksbuffet entgegen und schneidet sich ein Stück vom Hefezopf ab. „Den gibt es nur am Sonntag“ bestätigt er und ich lege noch eine Scheibe nach. „Haben sie heute schon etwas vor?“ fragt er mich und ich respondiere mit einem Seufzer, der nach kleiner, ebenerdiger Wanderung ohne Höhenmeter und Drahtseil klingt. „Dann gehen sie doch ins wunderschöne Gasterntal. Das ist hier direkt um die Ecke und spektakulär anzuschauen“. Okay, geschlagen.
Die Tour schaffe ich mit links und verzichte gar auf den Bus, der in den Sommermonaten zwischen Kandersteg und Selden verkehrt. Was für ein Fehler denke ich bereits nach 2 Minuten, denn es geht stetig bergauf entlang der schäumenden Kander, die sich hier durch eine wilde Schlucht schlängelt. Das ist wirklich atem-(be)raubend und bevor ich nochmals über den entsagten Bustransfer nachdenken kann, bin ich auch schon im lieblichen Gasterntal und erfreue mich an spektakulären Wasserfällen, tiefgrünen Wiesen und den mächtigen Felsen und Gletschern.
Am Ende des Weges liegt das Hotel Steinbock, wo es heute Würschtel und Steaks vom Grill gibt. Einfach einen Teller nehmen und selbst bedienen. So gefällt mir das, da gehen sich die 3 Stunden retour fast von alleine. Na ja fast, wenn ich so an die Person auf dem Sofa meines aktuellen Basislagers auf 525 Metern Höhe in einer Dachgeschosswohnung in München-Neuhausen denke. Ich bin fix und fertig, aber immer noch total „geflasht“ von der grandiosen Bergwelt des Berner Oberlandes. Was für ein Wochenende am schönsten See der Alpen!
Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung des Waldhotel Doldenhorn in Kandersteg.
Phantastische Bilder! Tolle Landschaft!Da geht man beim Wandern
schon mal an seine Grenzen aber es hat sich gelohnt.Weiter so!
Man könnte ja vom Felsen direkt ins Wasser springen ,das macht man
dann eben nur „Einmal“?♂️?♂️☠️