Das Thermometer fällt auf -11 Grad Celsius und mein Navi weist mich dezent darauf hin, dass ich in 245 Kilometern nach rechts abbiegen muss. Hoffentlich verpasse ich nicht den Moment, denke ich mir und gleite durch die schneebedeckte Prärie. Nicht viel los in Wyoming, wenn man von den Farmen mit ihren Rinderherden einmal absieht oder den längst verlassenen Scheunen, Tankstellen und Motels. Ein gänzlich anderes Amerika als in Aspen, Colorado, präsentiert sich mir auf der Tour zum Yellowstone Nationalpark, was sich auch in den Burger-Restaurants widerspiegelt, wo jeder jeden kennt und Pandemie-Masken verpönt sind. Ein Cowboy kennt nun mal kein Corona und so gehen es die Leute im Nordwesten eher locker an.
Ich erreiche schließlich das Westernstädtchen Jackson Hole mit seinen rustikalen Saloons und den markanten Geweihbögen am Town Square, um mir vor dem Trip in die Wildnis, noch ein ordentliches Steak im Gun Barrel Steak House zu genehmigen.
Hier gibt es wieder deutlich mehr Touristen, die sich im Skigebiet von Jackson Hole vergnügen oder mit Langlaufskiern durch die Nationalparks fahren. Ich entscheide mich als Vorprogramm für die Wanderung zum Taggart Lake, der herrlich zugefroren in die perfekte Winterkulisse des Grand Teton Nationalparks eingebettet ist.
Etwa 7 Kilometer geht es durch pulvertrockenen Schnee entlang alpiner Tannen hinab zum See, von dem man einen wunderbaren Blick auf den mächtigen Grand Teton hat, der mit 4.199 Meter höchsten Erhebung hier im Park. Es ist schneidig kalt am See, doch die Stille und Landschaft nehmen mich gefangen. Ich bin bereit für Yellowstone, das Abenteuer kann beginnen.
Der Wecker klingelt um 4.50 Uhr und ich packe ein paar Sachen vom Koffer in die kleine Reisetasche um, da für den Transport im Schneemobil nur Kleinigkeiten zugelassen sind. Schnell noch einen Kaffee trinken, um wachzuwerden, bevor es abgeht in die klirrend kalte Vollmondnacht. Bei Minus 20 °C höre ich auf von Fahrenheit zu Celsius umzurechnen und konzentriere mich auf die teils vereiste Straße Richtung Flagg Ranch. Ein Fuchs kreuzt meinen Weg, ein paar Bisons liegen im Schnee und schlafen, der Lewis River dampft seinen Atem in die Nacht hinaus. Es ist eine mystische Atmosphäre außerhalb der Windschutzscheibe, einsam und beeindruckend schön. Nach etwa 60 Meilen erreiche ich die Flagg Ranch, wo ich auf Malvin von Scenic Safaris treffe, der uns mit seinem vorgeheizten Schneemobil bis zur Old Faithful Snow Lodge fahren wird.
Autos haben hier im Winter nichts verloren, der Park gehört allein den Schneemobilen und damit den wenigen glücklichen Reisenden, die eine Hütte in der Snow Lodge rechtzeitig ergattert konnten.
Die Sonne geht auf und schält sich durch die tief verschneiten Tannen, um Gnome, Feen und verwunschene Kreaturen hervorzuzaubern. Immer wieder glaube ich, ein Tier oder eine Gestalt erblickt zu haben, doch es bleibt bei einer Illusion, bis wir nach knapp 2 Stunden die Snow Lodge erreichen.
Nach dem „early bird“ am Morgen, freue ich mich aufs Frühstücksbuffet mit Rührei, Speck und French Toast, welches ich in Ahornsirup bade. Ein kulinarisches Amerika wie aus dem Bilderbuch, was perfekt zu dieser Winterlandschaft passt, die man nicht in Worte fassen kann.
Es brodelt, zischt, spritzt und dampft an allen Ecken und was im Sommer schon beeindruckt, ist im Winter einfach magisch. Auf einsamen Trails wandere ich durch das Geysir-Becken rund um den Old Faithful und ergötze mich an den Fontänen der Geysire und den anmutigen Spektralfarben der Hot Springs und Pools.
Ringsherum ist alles tiefgefroren und verschneit, ganz als wäre die Hölle wirklich zugefroren.
Fehlen nur noch die dunklen Gestalten, die mahnend am Wegesrand stehen und bedrohlich ausschauen. Auch hier braucht man nicht allzu lange warten, denn Bisons halten sich gerne an den wärmenden Geysiren auf, um die aufgeweichten Grasbüschel zu fressen. Anfangs entdeckt man sie in weiter Ferne, doch plötzlich sind sie nah, ganz nah, stehen direkt vor dir und schauen dich recht mürrisch an.
Ich nicke dem Burschen vor mir zu, bedanke mich mit 1.000 Fotos fürs Stillhalten und mache mich zurück zur Snow Lodge, um vor dem knisternden Kaminfeuer, die Bilder des Tages Revue passieren zu lassen. Es sind viele und doch zu wenige, denn Yellowstone im Winter ist ein Erlebnis der besonderen Art.
Ski-Langlauf heißt die Disziplin am nächsten Morgen und so leihe ich mir für 18 Dollar ein Set aus Skiern, Schuhen und Stöcken in der Snow Lodge aus. Nach kurzer Instruktion, die ich nur mit halbem Ohr entgegennehme, begebe mich auf den Biscuit Basin Loop Trail, nur um gleich mal festzustellen, dass Skilanglauf extrem anstrengend sein kann.
Zumindest wenn man es nicht beherrscht und die Loipen keine Wettkampftauglichkeit aufweisen. Dafür kommt man mit den Brettern überall hin und kann die Pools und Geysire quasi im Vorbeifahren bewundern.
Rund 11 Kilometer rutsche ich durch den Park, um mich am Ende vor einer Büffelherde in Sicherheit zu bringen, die kurzerhand die Loipe quert.
So schnell war ich jedenfalls selten mit den Brettern unterwegs gewesen, nur um mich aus sicherer Distanz mit unzähligen Fotos an den Wildrindern zu rächen.
Die schnell gewonnenen Meter, gebe ich nur wenig später wieder auf, denn der Weg zurück zur Lodge hat seine Längen, auch wenn der Sonnenschein kaum strahlender hätte ausfallen können. Völlig ausgepumpt stelle ich mein Ski-Set ab und zähle die Stunden bis zum Abendessen. Ein opulenter Cheese & Bacon Burger, dazu ein frisch gezapftes Bavarian Beer krönen diesen Tag und ich kann mich kaum lösen vom Platz an dem Kaminfeuer, das nicht mehr auszugehen vermag.
Die Sterne leuchten mir den Weg vom Speisesaal zu meiner Blockhütte, wo ich vor Erschöpfung erstmals richtig durchschlafe, seit meiner Ankunft in Amerika. Ich träume von sprudelnden Geysiren, tief verschneiten Tannen, einsamen Wegen und prachtvollen Büffelherden. Ich träume von Yellowstone und wünsche mir, dass dieser Traum nie enden wird.