Es gibt im Amazonas-Gebiet von Ecuador etwa 150 Froscharten und wahrscheinlich ebenso viele Schlangen und Spinnen. Einige lassen dein Nervensystem in Sekundenbruchteilen zusammenbrechen. Und alle warten sie da draußen und lassen mich nicht schlafen. Da draußen?
Doch der Reihe nach. Etwa 30 Flugminuten von Quito entfernt liegt Coca oder offiziell Puerto Francisco de Orellana. Viel scheint hier nicht zu passieren, denn direkt nach unserer Landung wird der Flughafen einfach abgeschlossen. Es ist 11.10 Uhr. Doch wir sind längst nicht am Ende der Reise. Die erste Teiletappe zur Sacha Lodge wird mit dem Boot zurückgelegt. 1 Stunde und 40 Minuten peitscht das Dinghi über die braune Brühe des Napo River. Das Wetter ein Wechselspiel aus dampfender Sonne und schwangeren Regenwolken, die Luftfeuchtigkeit erreicht ihr Maximum. Ich habe schon viele Regenwaldgebiete gesehen, ob in Asien, Afrika oder Australien. Diesmal sieht es aus wie im Film. Ein Chaos aus Palmen, Bäumen, Farnen und verrückten Vögeln.
Gefühlt steht hier alles unter Wasser und so wundert man sich, dass es auf Teilstück 2 etwa 30 Minuten zu Fuß durch den Dschungel geht. Das Handgepäck stets dabei, die Koffer gehen ihren eigenen Weg. Mitten im Nichts taucht eine Bootsanlegestelle auf, und leitet das letzte Teilstück ein. Mit dem Kanu geht es über eine tiefschwarze Lagune direkt zur Lodge.
Vorbei an exotischen Vögeln und Affen, die von Ast zu Palme segeln. Eigentlich wie im Paradies. Mike, der Manager der Lodge, nimmt uns in Empfang und begrüßt uns in perfektem Deutsch. Der Mann kommt aus Bamberg und lebt schon seit über 20 Jahren in Ecuador. Hat einfach seinen Bausparvertrag in Reisekilometer konvertiert und ist hier geblieben. Es folgt die Einweisung für die nächsten 3 Tage und der Hinweis keinen Schritt alleine in dieses Dickicht zu setzen. Sollten „Freunde“ im Zimmer sein, einfach Bescheid geben.
Das setzt natürlich erst einmal eine intensive Inspektion in Gang. Nur ein Gecko hat es in der ersten Nacht geschafft. Allerdings ist Gecko auch Definitionssache. So etwas läuft in Hellabrunn schon unter ausgewachsener Echse mit eigenem Glaskasten. Und überhaupt diese Feuchtigkeit. Im Dschungel modert dir der Boden unter den Füßen weg, darum ist auch alles auf Stelzen gebaut. Ein stets muffiger Bungalow-Geruch zieht fein in deine Klamotten ein. 3 Tage hier draußen ist wie 1 Jahr Souterrain in Milbertshofen. Dann beginnt die erste Exkursion, was sich als Kanu-Tour durch schmale Dschungel-Passagen entpuppt. Der abschließende Sundowner auf dem See gehört schon jetzt zu den Höhepunkten. Diese Einsamkeit und Stille lassen keinen kalt.
Das Abendessen wird im Haupthaus serviert und ich gebe ordentlich Gas mit Bier und Wein und setze auf die Wechselwirkung als Vollnarkose. Doch die Hütte hat ihr Eigenleben und es krabbelt und kribbelt und es ist nicht mal 21 Uhr. Aber vielleicht wiegt mich ja der prasselnde Regen irgendwann in die Bewusstlosigkeit, schließlich steht morgen früh um sechs unser Guide vor der Tür.
Die erste Nacht war nicht mal schlecht. Pünktlich zum Sonnenaufgang blitzt die Sonne durch und ebnet den Weg für die zweite Kanu-Expedition. Schon nach wenigen Minuten segeln die ersten Affen durchs Bild. Zum Einstieg die Kleinen, nur Minuten später eine deutlich größere Spezies.
Kein Mucks ist angesagt und ich gleite schwerelos durch die schwarzen Kanäle des Amazonas. Nach etwa 2 Stunden bekommen die, hier obligatorischen, Gummistiefel ihren ersten Einsatz. Der Landgang führt uns auf kaum wahrnehmbaren Trails mitten hinein in die grüne Hölle. Unsere perfekten Guides schleppen Raupen, Ameisen und den tödlichsten Frosch des Universums herbei. Nach etwa 5 Stunden wird das Buffet am See eröffnet und man labt sich an Wiener Schnitzel und Spagetti Bolognese. Was der Dschungel doch alles so hergibt.
Der Nachmittag hat es dann in sich. Zunächst dreht sich alles um eine Eule, die unser Guide mit komplexen Apparaturen ins Visier nimmt. Ich meine wir reden hier von einer Eule. Sowas haben wir im Nymphenburger Schlosspark, kein Grund 20 Minuten wertvoller Dschungelzeit zu verplempern. Danach geht es endlich auf den höchsten Canopy Walk in Südamerika.
Eine Hängebrücke, die auf einer Höhe von 40 Metern und einer Länge von 300 Metern zwischen drei Türmen balanciert. Nichts für schwache Nerven, doch die Sicht auf das immerwährende Grün ist von hier oben einzigartig. Die Sonne geht unter, ein Tukan wählt gemächlich einen abgestorbenen Ast als Viewpoint. Zeit für den Rückweg. Und jetzt wird es kurios. Alle haben ihre Taschenlampe dabei, nur ich nicht. Alle tragen Mückenspray auf, nur ich nicht. Diese Engländer, Waschlappen. Es dauert keine 2 Minuten, dann winsele ich vor unseren britischen Nachbarn um Erlösung in Form des Mückensticks. Und das ist auch bitter nötig, hält unser Guide doch an jeder Baumöffnung, leuchtet hinein und zeigt mit Begeisterung auf Spinnen, Käfer, Raupen und sonstige Kameraden, die dich um den Schlaf bringen. Spätestens ab jetzt juckt einfach alles. Zeit für eine Dusche, denn heute ist der berühmte Barbecue-Abend direkt am See.
Der Weckdienst klopft pünktlich um 5.30 gegen meine Tür. Das Kanu ruft mal wieder und bringt uns über die Lagune in einen „floating forest“.
Erster Neuzugang ist ein Faultier, welches etwa 20 Meter über unseren Köpfen eingeklemmt in einer Astgabel chillt. Das eigentliche Ziel ist aber ein 600 Jahre alter Kapok Tree, der als Lookout umgebaut wurde. Wieder geht es unzählige Stufen über morsches Gebälk. Alle 3 Jahre wird jede einzelne Strebe ausgetauscht, ansonsten fault dir dieser Hochstand sprichwörtlich unter den Füßen weg.
Die Sonne knallt mächtig, von Regen keine Spur. Und das sollte uns zum Verhängnis werden, denn ab sofort wird jeder noch so kleine Fink von unserem Guide direkt in Augenschein genommen. Sofort justiert er sein Binokular, nur um festzustellen, dass Vögel einfach wenig Geduld haben. Für den Zweiten in der Gruppe reicht es meist nur noch zum gähnenden Ast. Zwischendurch glänzt immerhin mal ein Tukan mit seiner Anwesenheit. Was unseren Guide nur unnötig motiviert. Ich meine, wir braten hier oben bei 30 Grad und der Mann regelt den spärlichen Flugverkehr für einen ganzen Vormittag. Spätestens jetzt kommt der deutsche Tatendrang durch und ich marschiere voran Richtung Abstieg. Unten angekommen folgen erst einmal ein paar Survivaltipps aus dem Urwald. Palmenblatt abknicken, Schlaufe drum, irgendein Tier einwickeln und ab in den Ofen. Klar, so überlebt man. Weitere Erklärungen folgen, während man pixelweise von unzähligen Moskitos filetiert wird. Nur mit der Ruhe mein Freund. Und mit eben jenem Tempo hat sich unser Faultier tatsächlich bei Rückkehr um 1,5 Meter bewegt. Eineinhalb Meter in vier Stunden. Das entschleunigt.
Fazit: Auch, wenn alles kreucht und fleucht, auch wenn die Klamotten feucht wie nie gewaschen sind, auch wenn manche Expedition ein wenig ausufert, möchte ich doch keine Sekunde hier missen. Das Team der Sacha Lodge um Manager Mike macht wirklich einen sauberen Job, die Location am Pilchicocha Lake ist tiefenromantisch und der Regenwald so gigantisch wie in Hollywood. Irgendwie vermisse ich das Gezirpe und Gequake in der Nacht jetzt schon.
Hier findet ihr meinen Artikel über die Straße der Vulkane.
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