Der Regen klatscht wie nasses Konfetti gegen meine Stirn und lässt mich nachdenklich innehalten. War das Risiko am Ende zu hoch? Sollte mich auf Tasmanien das Wetterglück verlassen, während an der Ostküste Australiens Rekordtemperaturen und Walbrände das Klima beherrschen? Zumindest wird es keine schnelle Lösung geben und so quäle ich mich nach endlosen Minuten des Wartens raus aus dem Fahrzeug und rein in die Lobby des Cradle Mountain Hotel, wo der mächtige Kamin so etwas wie Weihnachtszauber verbreitet.
An der Bar bieten sie Glühwein und heißen Baileys an. Die wenigen Reisenden sind in dicke Winterjacken gehüllt, die dem Schmuddelwetter den Schneid abkaufen. Man greift zum Buch, spielt Billiard und lässt den Regen an sich vorbeiziehen. Echte Profis halt, wie sich zehn Minuten später herausstellen sollte, denn das Klima in Tasmanien schafft alle Wetterkapriolen an einem Tag.
Während ich gerade noch den Bau einer Arche als sinnvoll erachtete, stehe ich kurze Zeit später auf dem King Billy Walk und wandere durch einen üppig sprießenden Dschungel, der die kälteste Interpretation eines Regenwaldgebietes darstellt.
Cradle Mountain Nationalpark
Die Lichtkegel der Nachmittagssonne schießen wie Scheinwerfer durch das Dickicht und lenken das Auge auf moosbedeckte Pinien und Buchen, die hier zu 50% endemisch und damit einzigartig auf der Erde sind. Überall fließt und tröpfelt Wasser aus den unsichtbaren Ritzen im feuchten Moos, um die Pflanzenvielfalt weiter zu speisen und den Regenwald entstehen zu lassen.
Pünktlich um 18 Uhr kommen dann die Wombats und Wallabys aus ihren Tagesverstecken und liefern ein wahres Fest für Fotografen, da die kleinen Superstars bereits an aufwändige Shootings gewöhnt sind und erst beim Überschreiten der 2-Meter-Abstandszone das Weite suchen. Der Regen ist längst vergessen, denn die Abendsonne begleitet mich bis in den Speisesaal meines Hotels, wo tasmanisch pünktlich um 18 Uhr gegessen wird.
Am zweiten Tag wartet der große Höhepunkt auf mich, denn es geht mit dem Shuttle-Bus des Nationalparks zum Dove Lake, der genau wie der berühmte Cradle Mountain, auf dessen Hängen sogar noch Schneefelder auszumachen sind, in dichte Wolken gehüllt ist.
Eigentlich wollte ich ja dem deutschen Winter entfliehen, doch bei 8 Grad Celsius, braucht es heute ein Potpourri aus allen Kleidungsstücken, die der Reisekoffer noch hergibt. Der Dove Lake Circuit ist auf etwa 3 Stunden Wanderzeit taxiert und zeigt sich bereits nach der Hälfte der Wegstrecke von seiner sonnigen Seite, so dass ich mich spontan für die Zusatzroute zu Marions Outlook auf 1.223 Metern entscheide, die ordentlich in die Beine geht.
Die Aussicht von hier oben auf den Cradle Mountain und Dove Lake ist Postkartenromantik pur, doch während einige Wanderer bereits ihre Weinflasche entkorken, treibt es mich weiter entlang der Schneefelder zum Face Track, der knapp unterhalb der Gipfelgruppe zunächst eine horizontale Linie zieht.
Ich bin wieder allein unterwegs und genieße die wunderbaren Boardwalks, die direkt über das Geflecht aus Moos, Schnee und Wasser führen, bis ich plötzlich mit einem wenig galanten Rückwärtssalto auf dem matschigen Boden lande.
Es ist verdammt glatt, wenn man nur Turnschuhe dabeihat und der steile Abstieg zum Dove Lake macht es fortan für mich kaum leichter. Doch am Ende stehe ich wieder unversehrt am Bus-Stop und drehe mich ein letztes Mal um. Keine Wolke stört dieses unglaubliche Panorama und ich kann kaum fassen, dass ich immer noch in Australien bin, wo ich vor ein paar Tagen noch an den tropischen Stränden der Whitsunday Islands gebadet habe.
Freycinet Nationalpark
Das Erwartung und Wirklichkeit durchaus voneinander abweichen können, durfte ich einen Tag später am berühmten Lookout der Wineglass Bay erfahren. Der Parkplatz im Freycinet Nationalpark ist bereits überraschend voll und ich werde sogleich mit einer asiatischen Reisegruppe konfrontiert, die sich im Schneckentempo den vierzigminütigen Trail zum Wineglass Bay Lookout hochkämpft. Dann schalte ich doch lieber gleich in den zweiten Gang, verkürze auf 20 Minuten, um noch vor dem Hauptfeld auf die angebliche Paradebucht zu schielen, die heute wenig Ähnlichkeit mit den Photoshop-Arien auf Pinterest vorweisen kann. Das muss besser gehen und so begebe ich mich auf den etwa einstündigen Trail hinunter zum Strand, der schnell den Wanderfreund vom „Instagramer“ trennt.
Und es sollte sich lohnen, denn der Quarzsand der Wineglass Bay strahlt im wunderschönen Weiß gegen das Türkis des Ozeans und das Grün der bewaldeten Hänge des Mt. Mayson an. Was für ein Traumstrand, der von ein paar kälteresistenten „Hikern“ sogar als Badeplatz genutzt wird. Ich belasse es beim Staunen und Genießen und entscheide mich spontan für den Umweg über den Hazards Beach Track, der weitere 4 Stunden Wanderung entlang von Stränden, Klippen und Buschwäldern verspricht.
Ein Wallaby wartet bereits am Parkplatz auf mich und läutet die abschließende Aussie-Safari mit Kängurus, Wallabys und Wombats bis zum Freycinet Resort ein.
Bereit für den Sundowner? Ich denke schon, und zwar am besten mit einem Glas tasmanischen Sekt auf der eigenen Terrasse. Der Blick ist dabei stets nach vorn gerichtet, zu den Stränden am Isaacs Point und den vielen Abenteuern, die noch auf mich warten. „Everything ahead. Nothing behind“.
Cape Hauy
Unweit der Inselhauptstadt Hobart, liegt der Tasman Nationalpark, der wie kein zweiter, für die Wind und Wellen umtosende Felsenküste Tasmaniens steht. Es kursieren Bilder vom 65 Meter hohen Doleritfelsen Totem Pole im Netz, die mich, aufgrund ihrer Dramatik, sofort infiziert haben. Doch man fährt hier nicht einfach an die Klippen und schaut hinunter, sondern man muss sich den Ausblick hart erarbeiten. Eine 10 Kilometer lange „Dirt-Road“ führt durch ein Regenwaldgebiet und lässt mich nach jeder Gabelung aufschrecken, ob denn noch alles in Ordnung ist, mit dem geliehenen 2-Rad-Antrieb. Es ist wenig los auf der Strecke, umso mehr überrascht am Ende der Campingplatz und eine frisch renovierte Bushaltestelle. Ein Bus mitten im Nichts? Doch das Fragezeichen in meinem Gesicht löst sich schnell auf, denn in der Fortescue Bay endet der berühmte „Three Cape Trail“ und irgendwie müssen die Mehrtages-Wanderer ja wieder an ihren Ausgangspunkt zurückgelangen. Ich fokussiere mich heute auf den vierstündigen Cape Hauy Trail, der auf seiner Route bis zum Kap, über 500 Höhenmeter in unzähligen Stufen überwindet.
Es ist ein ewiges Auf und Ab, welches insbesondere auf dem Rückweg gute Kondition erfordert, denn klimatisch wird man von orkanartigen Böen an der Steilküste und stickigen Temperaturen in den Wäldern begleitet. Lange Zeit passiert nicht wirklich viel, hebt sich der Trail doch seinen Höhepunkt für das krachende Finale auf, dass mir unter extremen Winden, fast das iPhone aus der Hand weht. Der markante Felsen Totempole steht wie ein schmaler Pfeiler in der Brandung, ist jedoch aufgrund des Blickwinkels kaum als Einzelfelsen auszumachen.
Dafür muss man wohl aufs Boot wechseln oder ihn gleich selbst besteigen, was im Jahr 1968 das erste Mal gelang. Es gibt wohl kaum einen Ort, an dem man die Naturgewalt aus Wind, Wellen und Felsen so spürt, wie am Cape Hauy und ich bin fast froh, den Aussichtspunkt schnell wieder verlassen zu können.
Old Kempton Distillery
Man steigt am beschaulichen Flughafen in Hobart in den Mietwagen und steuert ohne großes Gedöns auf die einsamen und kurvigen Straßen Tasmaniens. Die Ortschaften sind beschaulich und mit einer Prise britischer Kolonialgeschichte versehen, während die Landschaft von Weinbergen und großen Schaaf- und Rinderfarmen dominiert wird. Wäre es noch etwas grüner, würde man sich sofort in die Naturkulisse Neuseelands hineinversetzt fühlen. Aber dann gäbe es vielleicht nicht so gute Whiskydestillerien, wie zum Beispiel die Old Kempton Distillery, die mich bereits um 10 Uhr morgens zu einer kleinen Whiskyprobe einlädt.
Und nachdem der Schluck ordentlich in der Kehle brennt, verlangt es förmlich nach dem Big Breakfast, wo es mit Whisky in Form der Barbecue Sauce gleich munter weiter geht. Es gibt Spiegeleier, Bacon, Würstel, Toast und frische Champignons, die im weiteren Reiseverlauf ihresgleichen suchen werden und allein schon den Besuch wert sind. Immer abgeschmeckt mit der berühmten Whisky-Barbecue-Sauce von Old Kempton, die jetzt in meinem Koffer mit mir zurück nach Deutschland fliegt.
Tasmanien ist so etwas wie das fehlende Puzzleteil einer Australienreise, fügt es den tropischen Stränden des Ostens, den roten Wüsten der Mitte und den Metropolen im Süden, eine frische Brise Berg- und Outdoor-Adventure hinzu, der den Aufenthalt in „Down Under“ emotional wie landschaftlich so einzigartig macht.
[…] freier Wildbahn zu erleben. Wer noch einen letzten Schubs braucht, kann hier meinen Artikel über Tasmanien […]