„Du musst aus deiner Komfortzone heraus, wenn du den perfekten Augenblick erleben willst“. Ich habe die prägnanten Worte des Unternehmers Jochen Schweizer, den ich kurz zuvor in München getroffen habe, noch gut im Kopf, als unser Bergführer Paul wie ein Sergeant bei den Navi Seals im Hotelzimmer meine Ausrüstung inspiziert.
„Hast du Schlafsack und Isomatte mit?“ Na klar habe ich das, schließlich habe ich gerade mal 2 Tage vor Abreise auf den klugen Beipackzettel meines Freundes Luka von Novi Travel geschaut, um noch schnell mein „Gear“ künstlich aufzurüsten. Doch mit einem bloßen Kopfnicken lässt sich Paul nicht abspeisen, sondern rollt mein Stoffbett für die nächsten 5 Nächte höchstpersönlich aus und kontrolliert die Temperaturempfehlung im Innenfutter. „Okay. Was ist mit Helmlampe? Wie viele Paar Socken? Was trägst du drunter? Wo ist dein Fließ? Hast du mindestens 3 Wasserflaschen? Medikamente? Walking Sticks?“ Mir wird ganz schwindlig bei all den Vorgaben und so leuchte ich als Konter erst einmal mit meiner roten Plastiktaschenlampe umher. „Mein Gott. Was willst du denn damit? Dabei werden dir die Finger abfrieren“. Nur mit Mühe lässt sich Paul auf meine Kombi aus Lampe und Handy-Leuchte ein. Bei den Trinkflaschen kennt er dagegen keine Gnade und prophezeit mir düster, dass 1 Liter Wasser deutlich zu wenig für den Tag ist.
Jetzt heißt es, noch einmal ordentlich essen, einmal noch duschen, ein letztes Mal rasieren und dann verlasse ich pünktlich um 8 Uhr Bernhard Grizmeks altes Wohnhaus in Arusha, welches sich heute mondän Outpost Lodge nennt und so etwas wie der letzte Außenposten vor dem Aufstieg zum Kilimandscharo ist.
Etwa 3 Stunden dauert die Fahrt zum Machame Gate auf 1.800 Metern, wo die Registrierung der Teilnehmer sowie das akribische Wiegen der Ausrüstung vorgenommen wird.
Danach bemisst sich nämlich die Anzahl der „Porter“, wie hier die Träger genannt werden, die eine Expedition begleiten, denn mehr als 20 Kg Last pro Person sind nicht erlaubt. Der ganze Prozess dauert locker 1,5 Stunden und mir bleibt nichts Anderes übrig, als meine Energiereserven weiterhin zu sparen und dem bunten Treiben zuzuschauen. Um kurz nach 12 ist es dann endlich soweit und Paul gibt den Startschuss zur Besteigung. Unsere kleine private Gruppe aus 2 Personen, hat sich um ein Team aus 8 Trägern, 2 Bergführern und einem Chef de Cuisine erweitert.
Der Weg ist erstaunlich gut angelegt und verläuft durch dichten Regenwald, der nur selten Blicke auf den Gipfel zulässt, mir allerdings auch die knallende Sonne erspart. So bleibt mein frisch erworbener Touristen-Safari-Hut noch hübsch zusammengefaltet im Rucksack stecken und ich stelle mich der Challenge, möglichst viele vor mir gestartete Gruppen aufzuholen. Bis auf ein paar Porter, die die schweren Zelte, Klappstühle und Kühltaschen akrobatisch auf dem Kopf tragen, sollte mir das auch gelingen. „Langsamer. So schaffst du nie den Gipfel“ ruft mir Paul noch hinterher, doch Geduld war noch nie meine Tugend und so genieße ich den Großteil der wirklich wunderschönen Wanderung fast alleine und bin am Ende überrascht, nach 3 Stunden und 20 Minuten bereits das Machame Camp auf 2.980 Metern erreicht zu haben. Auf einem Plateau werden erste Zelte errichtet, Klappstühle und Kaffee mit Popcorn gereicht.
Und zum ersten Mal zeigt sich auch das Ziel all dieser Strapazen durch ein Fenster in der Wolkenschicht. Die mächtigen Gletscher des Kilimandscharo haben etwas Anziehendes und Abweisendes zugleich, scheinen eine Warnung auszusprechen und lassen mich respektvoll innehalten.
Zeit für den abendlichen Waschgang, der aus einer wilden Mischung aus Tempo Fresh to Go und zwei Schalen mit heißem Wasser besteht. Danach serviert unsere Crew einen perfekten Bananen-Kartoffel-Eintopf und zum Nachtisch werden Avocados gereicht. Zum Abschluss noch einen heißen Tee sowie der bange Gang auf die recht gewöhnungsbedürftigen Toiletten. Wie die so sind? Manche Erlebnisse nimmt man besser mit ins Grab, aber zumindest weiß ich jetzt, woher der Spruch „Scheiß die Wand an“ stammt. Als unabdingbarer Gefährte entpuppt sich übrigens zunehmend meine kleine 5 € Taschenlampe, die hier oben einfach unbezahlbar ist und mich des Nachts sicher durch den Spießrutenlauf aus Heringen und Zeltstangen leuchtet. Der erste Tag ist geschafft und ich fühle mich trotz Abwesenheit jeglicher Luxus-Ausstattung erstaunlich gut und fit für Tag 2.
Wie die Nacht so war? Fragt besser nicht. Mein Schlafsack ging bereits bei +2 Grad in den wilden Streik und ließ mich beim Verlassen des Gefrierpunkts zunehmend im Stich, was alle Gliedmaßen abseits des Rumpfes langsam absterben ließ. Von daher war es eher ein hin und wieder einnicken, als eine gesunde Schlafeinheit und ich war froh, als mich um 6.30 endlich der Weckdienst aus der Schockstarre befreite. Recht milde zeigt sich dagegen der Berg, dessen Gletscher von den ersten Sonnenstrahlen in ein glitzerndes oranges Kleid getaucht werden.
Zeit für einen Kaffee und einen heißen Topf Porridge, der allerdings in die Kategorie extrem gewöhnungsbedürftig einzustufen ist. Doch unser Koch legt mit Omelette und Würstel nach und macht sich damit für immer unverzichtbar. Paul, der bereits zum 43. Mal mit einer Gruppe auf dem Kilimandscharo ist, stimmt uns auf die Route des heutigen Tages ein. Etwa 900 Höhenmeter liegen vor mir, die allerdings etwas steiler verlaufen, als am gestrigen Eröffnungstag. Und so gestalten sich die Überholmanöver als träge Schneckenrennen, die mich Meter um Meter einen ordentlichen Hang hinaufschieben. Die Vegetation wechselt alle 1.000 Höhenmeter und nach Regen- und Mischwald, übernehmen zunehmend Sträucher, die ersten Dendrosenecios und blühende Büsche, die hier liebevoll „Everlasting Flowers“ heißen, die Szenerie.
Im Hintergrund der perfekte Vulkankegel des 4.566 Meter hohen Mount Meru und die gezackten Hügel der Shira Hills, die von einigen Bergsteigern als Trainings- und Aufwärmprogramm genutzt werden. Das ist landschaftlich wirklich sehr besonders und mit ein paar Energie-Riegeln und ausreichend Wasser auch gut zu schaffen. 3 Stunden später trage ich mich in das Register der Rangerstation des Shira Cave Camp auf 3.750 Metern Höhe ein. Das Moorland, wie die Gegend auch genannt wird, zeigt sich danach von ihrer unwirtlichen Seite und stellt den Sonnenschein in null Komma nix ab und verwandelt ihn in kaltes Regenwetter. Also nichts wie rein in den Schlafsack, der diesmal mit einer heißen Thermosflasche präpariert ist. Man lernt ja schließlich dazu. Der Nachmittag zieht sich etwas, so dass ich bei einem kleinen Spaziergang zur Wasserstelle noch auf meine zwei Porter Peter und Lawrence treffe, die mir von ihrem Lebenstraum erzählen. Einmal selbst als Guide Gäste auf den Kilimandscharo führen und da gehört, neben dem Studium in Arusha, auch die harte Arbeit als Träger dazu. Als Training dürfen sie mich dann zum Esszelt führen, wo unser Koch Elyawon bereits ein komplettes Menü aus Suppe sowie Reis mit Fisch und als Nachtisch Pancakes gezaubert hat. Nach dem obligatorischen Gute-Nacht-Tee, lasse ich die Thermoskannen nochmals mit heißem Wasser auffüllen und stopfe sie in den Schlafsack.
Die „Baby Bottles“ halten immerhin bis 3 Uhr nachts und ich bin leicht euphorisiert über so viel Schlaf, was sich dann umgehend in Entsetzen verwandelt. Beim Blick in den Selfie-Modus meines Handys, traue ich meinen Augen kaum: 75 Jahre über Nacht. Na herzlichen Glückwunsch! Die Augen sind geschwollen wie ein basedowscher Wackeldackel, die Falten wirken wie von einem Jeep durchkreuzt. Doch für plastische Chirurgie ist heut wirklich keine Zeit, denn der Kili strahlt mir wolkenfrei entgegen und unsere kleine Expedition macht sich auf die Reise zum 4.600 Meter hoch gelegenen Lava Tower Camp.
Die Vegetation wird deutlich karger und besteht nunmehr aus ein paar Büschen und Lavasteinen, übt aber, durch den permanenten Anblick der Kilimandscharo-Gletscher, eine unglaubliche Faszination auf mich aus. Meine Schritte wähle ich heute weise und lasse den ein oder anderen Porter vorbeiziehen, um die Akklimatisierung auch entsprechend wirken zu lassen. Etwa 3 Stunden dauert der Aufstieg und außer einem leichten Pochen im Hinterkopf fühle ich mich nach mehr. Und das sollte ich dann auch bekommen. Unser heutiges Tagesziel liegt nochmals 2 Stunden entfernt und heißt Barranco Camp. Das Gemeine: Es geht bergab und wir geben am Ende des Tages fast alle zuvor erlaufenen Höhenmeter wieder ab.
Landschaftlich gibt Tag 3 jedoch nochmals alles und führt uns entlang der mächtigen Steilwand des Lava Tower durch einen oasenhaften Canyon, der gesäumt ist von unzähligen Giant Senecio Trees, die nur in dieser Höhe um die 3.500 Meter vorkommen.
Das Camp selbst liegt spektakulär auf einem Hochplateau direkt an der steil dreinschauenden Barranco Wall. Da sollen wir Morgen hoch? Paul nickt nur und fügt beruhigend hinzu: „Keine Panik, ist die einzige Klettereinlage auf unserer Tour“. Na dann Gute Nacht.
Fortsetzung folgt hier.
Dieser Beitrag wurde unterstützt von Novi Travel und Mammut.
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