Der Icefields Parkway gehört mit seinen atemberaubenden 232 Kilometern zu den Bilderbuchstrecken, die man im Leben einmal gefahren sein muss. Doch wieso einmal? Eigentlich mindestens zweimal, denke ich mir und bereite mich auf die Winteredition vor. Ich verlängere den offiziellen Teil um etwa 60 Kilometer und starte in Banff, wo die Morgensonne gerade eine Wapiti-Herde beim Frühstück überrascht.
Kurze Zeit später verlasse ich den Highway 1, um auf einer Nebenstrecke, der 1A, zum Johnston Canyon zu gelangen. Auch wenn die Straße kaum geräumt ist, fährt es sich auf den 17 Kilometern bis zum Canyon erstaunlich gut auf dem tiefverschneiten Untergrund. Und während sich im Sommer Busse und Mietwagen die Klinke in die Hand geben, ist man im Januar gänzlich alleine unterwegs. Der Johnston Canyon mit seinen Upper und Lower Falls gehört zu den Mega-Stars im Bow Valley. Die Fälle gehen im Sommer als ganz passabel durch. Im Winter allerdings, verschlagen sie dir glatt den Atem. Bis zu den Lower Falls sind es gerade einmal 1,1 Kilometer, die entlang einer tief verschneiten Schlucht führen. Ein paar wenige verstreute Seelen kommen mir mit ihren Steigeisen entgegen. Beim näheren Hinsehen handelt es sich um eine Gruppe Asiaten, die sich panikartig an jedem freien Geländer festhält. Wird schon nicht so schlimm werden, denkt sich mein Wanderschuh und rutscht weiter auf dem perfekt angelegten Laufsteg dahin. Nach etwa 30 Minuten erreicht man die Wasserfälle durch eine schmale Felsöffnung.
Die Aussicht lässt mich nach Luft schnappen. Eine Orgel aus unzähligen Eis-Stalaktiten wirft sich eine Schlucht hinunter und gruppiert sich wie ein Amphitheater um einen milchig-grün schimmernden Pool. Unter der Eiskruste ist immer noch ordentlich Leben und der Wasserfall sprudelt und dampft, als wäre er ein ausgewachsener Geysir. Zu den Upper Falls geht es dann nochmals 1,6 Kilometer durch einen Märchenwald aus tiefverschneiten Douglas-Tannen. Und auch hier hängt ein gigantisches „Alien“ aus ineinander zerlaufenen Eiszapfen von der Decke.
Zwei Eiskletterer versuchen ihr Glück an dieser gigantischen Eiswand. Insgesamt sollte man für diesen unvergesslichen Abstecher ungefähr 2 Stunden einplanen.
Danach geht es ohne Umweg auf den Highway 93, der Traumstraße der Rockys. Die Nationalpark-Gebühren darf man sich in 2017 aufgrund des 150-jährigen Geburtstags getrost sparen. Und bereits nach wenigen Kilometern bin ich meinem Alamo-Schlitzohr von Mietwagenverkäufer über das 4WD-Upgrade unendlich dankbar. Es schneit Elche und Karibus und der Oberbayrische Streudienst ist einen Kontinent weit entfernt. Die Strecke führt mitten durch das Herz der Rocky Mountains mit all seinen mächtigen Gletschern, Seen und Wäldern.
Auch in Europa gibt es wunderbare alpine Landschaften, aber es ist diese Weite, Einsamkeit und Gebirgsmassivität, die Kanada absolut einzigartig machen. Mir kommen auf der gesamten Strecke nach Jasper vielleicht 10 Fahrzeuge entgegen, ansonsten ist das hier und heute meine Straße. Auf der Brücke bei The Crossing schieben sich blau-grün schimmernde Eisplatten über den Saskatchewan River.
Am Columbia Icefield fegen Winterstürme über den vereisten Asphalt und haben selbst die öffentichen Toiletten fest im Griff.
Und bei den Athabasca Falls untermalt ein leichter Schneefall die Komposition einer eingefrorenen Welt. Die Fälle zählen, trotz geringer Fallhöhe, zu den Höhepunkten im Jasper Nationalpark, da sie mit einer unglaublichen Kraft durch eine enge Schlucht donnern. Im Winter gilt natürlich auch hier: Frozen Zone.
Gegen 16 Uhr erreiche ich Jasper und bin erst einmal erstaunt bis tiefenenttäuscht. Statt schneebedeckten Tannen, steht ein einsames Eishockey-Tor auf dem Lac Beauvert. Einsam deswegen, da sich der See rings ums Tor bereits wieder von seiner Eiskruste getrennt hat. Spencer, der einen Souvenirladen in Downtown Jasper führt, erklärt mir das Phänomen: „Wir bekommen jedes Jahr im November/Dezember etwa 10 Meter Schnee. Das muss reichen bis zum Frühjahr. Letzte Woche hatten wir hier noch -45 Grad. Am Tag! Danach ist der Chinook hier durchgefegt und hat den ganzen Schnee abgetragen“. Der Chinook ist ein warmer Fallwind, ähnlich dem bayrischen Föhn, der innerhalb eines Tages schon mal 30 Zentimeter Schnee vernichten kann. Sei es drum, für die Nacht habe ich mir auf jeden Fall die Jasper Park Lodge ausgewählt. Die Lage direkt am See ist wirklich klasse, auch wenn das Fairmont mittlerweile deutlich in die Jahre gekommen ist. Dafür ist die Lobby mit ihrem großen Kamin ein echtes Highlight. Die Bison-Burger sind gut, der Lachs ist überragend, im TV läuft immer Eishockey und eine Gruppe betagter Damen strickt bereits seit 2 Tagen fleißig Pussy-Mützen für oder besser gegen Donald Trump. 2 links, 2 rechts und eine fallen lassen.
Der nächste Tag beginnt recht wolkenverhangen, was mir direkt unzählige Sorgenfalten auf die ansonsten natürlich glatt polierte Stirn treibt. Da nützt auch die Cholesterinschleuder aus Scrambled Eggs & Bacon nix. Also machen wir uns erst einmal auf den Weg zum Maligne Canyon, einer engen Schlucht, die nur 6 Kilometer vom Fairmont entfernt liegt. Eigentlich wollte ich ja eine Canyon-Tour mit Steigeisen & Guide buchen, doch das Kommando Wanderschuh hatte bereits den Johnston im Alleingang bewältigt. Also „never change a winning shoe“ und ab aufs Eis.
Und so rutscht man auf dem, hoffentlich, tief gefrorenen Rinnsal durch einen engen Slot Canyon. Für mich eine der Top 10 Reise-Höhepunkte ever. Die Canyonwände sind an dieser Stelle brutal schmal und die herabstürzenden Fälle scheinen mitten in der Bewegung zu verharren.
Herausgekommen ist ein Eispalast, der selbst den Johnston Canyon in den Schatten stellt. Steigeisen wären zwar hilfreich, aber mit vorsichtigen Schritten und einem Gandalf-Stock (zur Prüfung der Eisdichte) kann man die Schlucht auf etwa 150 Metern wunderbar durchwandern. Im Prinzip gibt es nur eine knifflige Stelle, an der das Eis bereits durch „fließend Wasser“ ersetzt wurde. Ein Baumstamm lädt förmlich zum Balance-Akt ein und so lässt sich auch diese Herausforderung meistern.
Man mag sich kaum lösen von diesem Naturschauspiel, doch am Ende der Straße wartet ja noch der sagenumwobene Maligne-Lake, eine der meist-besuchten Attraktionen im Nationalpark. Die knapp 40 Kilometer bis zum See knallen nochmals alle Trümpfe auf den Tisch, die Kanada so zu bieten hat.
Und endlich zeigt sich auch die Sonne und strahlt die schnee-vereisten Gipfel in ein unwirkliches Licht. Alle 50 Meter bleibe ich stehen, um zu staunen und zu genießen. Der Maligne Lake ist mit einer 50 Zentimeter dicken Schneeschicht überzuckert. Perfekt für eine Schneeschuhwanderung entlang oder einfach mitten über den See.
Kabinen, Restaurant, Bootshaus und Souvenirshop sind verschlossen und warten auf das Frühjahr. In diesem Sinne: Enjoy the Silence. Und nur eine Stunde später heißt es dann: Enjoy the Apfelstreusel. Und zwar in der wunderbar gemütlichen Bear´s Paw Bakery. Aber bitte bloß keinen Café Americano bestellen. Denn der wird hier seinem Namen mehr als gerecht, wenn ihr versteht was ich meine.
Am nächsten Tag heißt es dann Abschied nehmen von Jasper, um dem Icefields Parkway noch einmal die Ehre zu erweisen. Und er dankt es mir mit einem Wechselbad aus Schneefall und Sonnenschein.
Schöner als der Winter kann der Sommer kaum sein, was auch nahtlos auf die kitschigste aller Attraktionen am Lake Louise zutrifft. Zeit, die Schlittschuhe vom Nagel zu nehmen, um ein paar Pirouetten über die Eisfläche zu drehen. Aus dem Augenwinkel sehe ich einen einsamen Hockey-Stick an einer Parkbank lehnen. Er scheint auf mich gewartet zu haben, grinst mich an und liegt nur zwei Sekunden später in meinen Handschuhen. Wenn ich Kanada in einem Moment einfangen müsste, dann wäre es sicher dieser.
Hier findet ihr meinen Bericht zur Wanderung am Victoria Glacier.
[…] Weiter geht die Reise auf dem Icefields Parkway. […]
[…] erinnert mich ein wenig an den Trip zum Johnston Canyon in Alberta, da man auch hier und heute ganz allein auf den vereisten Pfaden unterwegs ist. Ein […]
[…] in der Französisch gesprochen wird, denn bisher führten mich meine Kanada-Reisen eher in die Rocky Mountains oder nach Toronto zu den Niagara Fällen. Jetzt ging es also nach Québec, mitten ins französische […]