Der Tag beginnt recht früh mit einem verlorenen Olympia-Finale im Eishockey und wäre dieser Todesstoß nach Overtime nicht Schmerz genug, folgt der Psyche sogleich auch die Physis. Ohne Vorwarnung rutsche ich auf dem spiegelglatten Kopfsteinpflaster von Riddarholmen aus und kann von Glück reden, dass dieser Sturz so gänzlich unbeobachtet von statten geht. Wobei, vielleicht sollte ich doch mal besser das Netz checken?!
Die -11 Grad betäuben auf der Stelle und ich schleife mich zum wunderschönen Aussichtspunkt, der Evert Taubes Terrass, wo der Panoramablick von Södermalm bis hin zum markanten Stadshuset reicht.
Ein paar Möwen kreisen über der eisernen See, die an ihren Enden unter einer dichten Eisschicht verschwunden ist. Der Winter hat Stockholm in seinem Griff, doch die Klarheit und Stille auf der quirligen Altstadt-Insel Gamla Stan hat auch etwas Magisches. Widmen wir uns dem Herz von Schweden und das schlägt nun mal im Königlichen Schloss, welches majestätisch an der Nordseite der Altstadt-Insel liegt.
Vorab noch ein kurzer Abstecher zur wirklich sehenswerten Storkyrkan, der königlichen Hochzeitskirche und dann geht es auch schon ab durch die eindrucksvollen Gemächer, die sich über 2 Etagen verteilen. Aktuelle Ereignisse finden jedoch selten noch hier statt, da die Königsfamilie mittlerweile ausschließlich im landschaftlich herrlich gelegenen Schloss Drottningholm zu finden ist. Besonders gefallen haben mir die Galerie von Karl dem XI, wo festliche Bankette für über 170 Gäste veranstaltet wurden sowie die Säulenhalle und der Reichssaal.
Die Schatzkammer ist zwar im Preis enthalten, doch außer ausrangierten Kronen und Juwelen, gibt es hier nicht viel zu sehen. Widmen wir uns dem kulturellen Kontrastprogramm und dafür müssen wir, wie so oft in Stockholm, die Insel wechseln. Zunächst geht es noch zu Fuß über die Brücke nach Skeppsholmen, ab dort dann nur noch zu Schiff nach Djurgarden, der Heimat des 2013 eröffneten ABBA Museums.
Für die umgerechnet 25 € Eintritt gibt es außer ein paar Original-Devotionalien wie Kleider, Gitarren und goldene Schallplatten oder Nachbauten vom Studio, Tour-Bus und einem Helikopter nicht wirklich viel zu sehen. Trotzdem ist es das erste Museum, dass ich mit einem Lächeln verlassen habe. Vielleicht liegt es ja an den interaktiven Elementen, denn wo kann man sich sonst digital zur Agnetha umstylen und Waterloo trällern, Chiquitita am Pult neu abmischen oder gar als 5. ABBA-Mitglied auf der Showbühne auftreten.
Und vielleicht klingelt ja auch gleich noch das rote Telefon und Björn, Benny, Frida oder Agnetha sind am anderen Ende, um verdutze Besucher live zu überraschen. Auch wenn nichts klingelt, verlasse ich summend, mit einem leichten Disco-Fox im Unterschenkel das ABBA Museum und mache mich auf den Weg ins Birger Jarl Hotel, im nördlichen Norrmalm. Als hätte mein wunderbarer Organisator Shane die Partylaune geahnt, hat er mir sogleich eine Flasche „Sekt auf Eiskübel“ in die modern gestylte Suite legen lassen.
So kann man ankommen und den leise rieselnden Schneeflocken beim Landen zusehen. Das Birger Jarl ist für Stadterkundungen wirklich perfekt gelegen, da die Metro fast vor der Tür abfährt und die Haupteinkaufsstraßen fußläufig erreichbar sind. Wie ich dann allerdings auf die wagemutig bis leichtsinnige Idee kam, ausgerechnet mitten im Winter in eine Ice-Bar zu gehen, bleibt wohl das Geheimnis des Autors. Und so stehe ich pünktlich um 18:45 vor der Absolut ICEBAR und bekomme sogleich meinen arktischen Poncho gereicht, um die konstanten -7 Grad ein wenig auszugleichen. Zur Hilfe kommt mir da ein Drink namens Sunshine, der stilecht im Eis-Glas serviert wird und ein wenig Sonne in meinen Körper scheint.
Anschließend wird das Glas einfach auf den Boden geschmissen, denn „neue“ können ja jederzeit in der Gefriere produziert werden. Die Reservierung im Internet macht bereits deutlich, dass der Spuk nach 45 Minuten vorbei ist und in Anbetracht der Minusgrade ist von einem längeren Aufenthalt auch deutlich abzuraten.
Noch ein paar Gastro-Tipps zum Abschluss. Ob Italiener, Amerikaner oder einheimische Hausmannskost: Ich hatte sie alle und kann sie auch uneingeschränkt weiterempfehlen. In der Altstadt liegt das älteste und angeblich beste Kellerrestaurant mit Namen Den Gyldene Freden, welches bereits im Jahr 1722 schwedische Spezialitäten serviert hat. Für mich gibt es heute gesunde Kost in Form von Lachs mit Kohlgemüse und Kartoffeln, was dazu führt, dass in den nächsten Tagen nur Kalorienmonster wie Burger & Pommes im Barrels Burgers & Beer und Pizza von Giro in meinem Magen landen. Das Obermonster lauert aber im Wiener Caféet in Form eines Semlor auf mich.
Klingt wie eine Urgestalt aus dem Herrn der Ringe, ist aber tatsächlich ein Weizenmehltörtchen mit Mandelpaste und Schlagsahne, dass zuvor 6 Minuten im Ofen gebacken wurde, um danach zur Perfektion zu erstarren. Die Dinger sind der Wahnsinn und beste Vorbereitung für den Sprung in den Untergrund von Stockholm, denn die Metrostationen der Tunnelbanan sind künstlerisch eine Besonderheit und als längste Galerie der Welt bekannt. In der Station Solna centrum gleitet man in ein rotes Höllengewölbe hinab, während man in der T-Centralen von kobaltblauen floralen Motiven überrascht wird.
Höhepunkt ist die Endstation Kungsträdgarden, wo sogar Säulen, Steinskulpturen und ganze Wasserfälle in das rotgrüne Gesamtkunstwerk integriert wurden.
Von daher beantwortet sich die Frage: „Lohnt sich Stockholm im Winter?“ am Ende fast von selbst, denn neben der wunderbar verschneiten Stadtkulisse, gibt es so viele Indoor-Ziele zu besuchen, dass ein verlängertes Wochenende viel zu wenig ist. Wir sehen uns im Sommer definitiv wieder und dann hält es mich hoffentlich auch auf den Beinen, nachdem es mich bei meinem 2. Sturz auf der geschlossenen Eisdecke am Djurgardsbrunnsviken fast unters Packeis gedrängt hat. Diesmal mit großem Publikum und krachendem Applaus, genauso wie ich es mag.
Dieser Artikel entstand mit freundlicher Unterstützung des Birger Jarl Hotels in Stockholm.
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